Point & Figure Charts – das Wichtigste vorweg
- Point-and-Figure-Charts (kurz P&F Charts) fokussieren den Blick auf Kursbewegungen und Trends eines Finanzprodukts, ohne den linearen Zeitverlauf zu berücksichtigen.
- Der Chart besteht aus sich abwechselnden ‘X’- und ‘O’-Säulen. Eine ‘X’-Säule bildet sich bei steigenden, die ‘O’-Säule bei fallenden Kursen.
- Eine Trendumkehr erzeugt eine gegenläufige Säule unmittelbar rechts von der aktuellen.
- Die „Boxgröße“ bestimmt den Wert, um den sich der Kurs mindestens ändern muss, um eine neue ‘X’- bzw. ‘O’-Box zu erzeugen.
- Die „Umkehrgröße“ („Reversal“) bestimmt, um welchen Betrag der Kurs sich mindestens in die Gegenrichtung entwickeln muss, um eine neue Säule zu beginnen.
- Point-and-Figure-Charts filtern minimale Preisfluktuationen (Kursrauschen) heraus. Sie lassen Widerstände, Unterstützungen, Ausbruchssignale sowie Trendverläufe und Trendwechsel deutlich erkennen.
Inhalt
Zugegeben: auf den ersten Blick schaut ein Point-and-Figure-Chart ein klein wenig wie ein Kreuzstich-Stickmuster für Anfänger aus. Wie kann eine solche Kursdarstellung einen Trader bei seiner ernsthaften Handelsvorbereitung unterstützen? Welche wichtigen Informationen bietet dieser Chart? Wie wird er gelesen?
Gehen Sie mit mir auf eine Entdeckungsreise in ein Land mit wenig bekannten Kursdiagrammen.
Was sind Point-and-Figure-Charts, worin unterscheiden sie sich von den bekannten Kerzen- oder Balken-Charts und wie werden sie erstellt?
Das sind die Fragen, die ich im ersten Abschnitt des Artikels beantworten werde.
Was sind Point-and-Figure-Charts?
Ein Blick in die Geschichte
Wir befinden uns in den Handelssälen der USA, Ende des 19. Jahrhunderts. Kursdaten werden sequenziell über einen Ticker geliefert. Die Kursveränderung wird zumeist mit einer minimalen Abstufung von 1/8 Dollar gehandelt.
Die Händler schreiben die im Laufe des Tages gehandelten Preise in Spalten auf; eine steigende Zahlenkolonne bezeichnet steigende Preise und eine fallende Zahlenkolonne fallende Preise.
Nach einer Weile begann man, die Zahlen durch ‘X’ zu ersetzen, und das Diagramm wurde als „Punktdiagramm“ bekannt. Später wurde schließlich eine neue Darstellungsmethode entwickelt, bei der ‘X’ für steigende Säulen und ‘O’ für fallende Säulen verwendet wurde.
Point & Figure-Charts vs. Balkencharts — Unterschiede, Einsatzmöglichkeiten
Der auffälligste Unterschied ist, dass Point-and-Figure-Charts keine lineare Zeitachse aufweisen. Sie bewegen sich nicht entlang der X-Achse, wenn die Zeit vergeht, sondern wenn sich aktuelle Trends ändern und dadurch neue Säulen gebildet werden.
Der Chart konzentriert sich auf die wertmäßige Darstellung des Kurses und seiner Entwicklung. Die Kursdaten werden als ‘X’- oder ‘O’- Säulen dargestellt, je nachdem, ob ein bullischer oder ein bearischer Trend vorherrscht.
Die Länge der Säulen gibt keine Auskunft über die Zeitdauer eines Trends, sondern nur über die zurückliegende Kursspanne. Bewegt sich der Kurs in einer engen Range seitwärts, kann das Diagramm über längere Zeiträume ohne sichtbare Veränderungen bleiben.
Wegen ihrer komprimierten Darstellung werden Point-and-Figure-Charts oft als „geräuschlose“ Charttechnik bezeichnet. Sie filtern minimale Datenfluktuationen – das Kursrauschen – heraus und vermitteln ein klareres Bild.
Der Fokus der Darstellung liegt auf eindeutigen Signalen. Unterstützungs- und Widerstandsniveaus, Korrekturen und Trends sind auf Anhieb zu erkennen, genau wie Einstiegs- bzw. Ausstiegspatterns und Stopps.
Klar definierte Chartformationen helfen dabei, die Marktstruktur über verschiedene Zeithorizonte hinweg zu identifizieren. Das Prinzip von “Supply and Demand” geht unmittelbar aus dem Diagramm hervor: aufsteigende ‘X’-Säulen stellen den Kaufdruck der ‘Bullen’ dar, fallende ‘O’-Säulen die Dominanz der ‘Bären’.
Point-and-Figure-Charts helfen, Unsicherheit beim Platzieren von Trades zu reduzieren. Sie ermöglichen außerdem eine einfache Ausarbeitung von Strategien, da sie über objektive Regeln verfügen. Diese Regeln unterstützen auch die Entwicklung mechanischer Handelssysteme.
Ich empfinde diese Diagramme als äußerst hilfreiche Ergänzung zur technischen Analyse mit Balken- oder Kerzencharts. Sie sind allerdings ohne Bedeutung für Scalper und haben kaum Aussagekraft für Daytrader. Für Trader, die am “Kursrauschen” verdienen und auf rasche Änderungen im Chart angewiesen sind, sind sie ungeeignet. Doch für Swingtrader und längerfristig engagierte Investoren können sie ein wichtiges zusätzliches Hilfsmittel darstellen.
Point & Figure-Charts erstellen und lesen
“Ein Missverständnis ist, dass es sich bei Point & Figure lediglich um eine »neue« Darstellungsart der Kursdaten handelt, die sich auf den ersten Blick nicht erschließt. Doch täuschen Sie sich nicht! ”
Scholl Reinhard: Point & Figure (German Edition) (S.9). FinanzBuch Verlag.
Der folgende Point-and-Figure-Chart zeigt den Kursverlauf des DAX ab Januar 2022:
Werfen wir einen ersten Blick auf den Chart. Wie Sie sehen, zeigen Point-and-Figure-Charts zwei unterschiedliche Arten von Säulen: X und O (sprachlich: der Buchstabe ‘X’, nicht das ‘Kreuzchen’ bzw. der Buchstabe ‘O’).
Steigende Kurse werden durch ‘X’-Säulen dargestellt, fallende durch ‘O’s. Wechselt der Trend von steigend zu fallend oder umgekehrt, wird eine neue Säule begonnen.
Sie können erkennen, dass die Zeitachse (‘x-Achse’) nicht linear verläuft wie bei bekannten Charttypen. Eine ‘X’- oder ‘O’-Säule wird so lange weitergezeichnet, solange eine vorherrschende Kursbewegung stattfindet. Erst wenn diese Bewegung sich umkehrt, beginnt eine neue Säule. Eine lange Säule kann sich also sowohl in wenigen Stunden hektischer Markttätigkeiten bilden als auch über einen Wochen anhaltenden stabilen Trend.
Damit bin ich bei den zwei wichtigsten Determinanten eines Point-and-Figure-Charts, der Boxgröße und der Umkehrgröße (‘Reversal’).
Die Boxgröße bei Point&Figure-Diagrammen
Die Boxgröße ist der wichtigste Bestandteil des Point-and-Figure-Charts. Sie bestimmt die Empfindlichkeit der Chart-Kursbewegung. Bei großen Boxen sind die Bewegungen innerhalb einer bestimmten Preisspanne gering, bei kleinen Boxen sind die Kursbewegungen im Chart größer.
Wir stellen uns den Chart auf kariertem Papier gezeichnet vor. Jedem Kästchen (“Box”) wird ein einzelner Wert zugewiesen. Eine Boxgröße von 1 bedeutet, dass bei einem Kursanstieg oder Rückgang um 1 Punkt oder mehr neue Kästchen ausgefüllt werden. Jede Kursänderung unter 1 Punkt wird jedoch ignoriert.
Beispiel:
Wir erhalten folgende Kursdaten — 15.2 – 15.8 – 16.5 – 17.9 – 19.3 – 19.1 – 18.5 – 18.1 – 15.9 – 14.8
Dies führt bei einer festgelegten Boxgröße von 1 zu folgendem Chart:
Erläuterung:
Ob der erste Wert (15.2) als ‘X’ oder ‘O’ eingezeichnet wird, ergibt sich aus den vorherigen Werten oder – in diesem Fall – aus dem Folgewert. 15.8 bedeutet: Der Kurs steigt offensichtlich. Wir zeichnen ein ‘X’ in die Box bei 15.
Die Boxgröße im Chart ist 1. Der nächste Wert (15.8) liegt also in derselben Box (stellen Sie sich die Boxen mit der Relation ‘Größer oder gleich’ versehen vor).
Die beiden Folgewerte (16.5 – 17.9) erzeugen zwei neue Boxen. Der Wert 19.3 erzeugt eine Box, die eine Lücke in der Säule hinterlassen würde. Solche Lücken werden entsprechend gefüllt.
Der Wert 19.1 liegt wiederum in der 19er-Box, erst der Wert 18.5 erzeugt eine neue Box, die jetzt tiefer liegt, wir sehen also eine Kurswende. Wir starten eine neue Säule und zeichnen ein ‘O’ bei 18. Es ist nicht möglich, dass an einem Wendepunkt – also dem Endpunkt einer Säule – ein ‘X’ und ein ‘O’ auf gleicher Höhe nebeneinander stehen.
18.1 liegt wieder in derselben Box, und 15.9 erzeugt eine neue Box auf dem Niveau 15, die auftretenden Lücken werden wieder ausgefüllt. 14.8 ergibt wiederum ein tiefer liegendes ‘O’.
Wie wird die Boxgröße festgelegt?
Ähnlich einem Balkenchart kann die Boxgröße als absoluter Wert (z.B. 1$ bzw. 1 Punkt) oder als prozentualer Wert der Preisänderung festgelegt werden.
Point-and-Figure-Diagramme, bei denen die Kästchengröße ein Punkt-, $- oder Cent-Wert ist, werden als arithmetische Diagramme bezeichnet.
Bei ihrer Festlegung beträgt die Größe der Box nicht unbedingt ‘1’ wie im einleitenden Beispiel. Sie hängt vom Preis des Instruments und der durchschnittlichen Preisrange ab, aber auch von der gewünschten Sensibilität des Diagramms.
Kleinere Boxgrößen erzeugen sensiblere Diagramme, die ihrerseits kürzere Zeitspannen abbilden. Wird die Boxgröße erhöht, verringert sich die Empfindlichkeit und der Zeithorizont wird größer.
Bei Balken- oder Kerzencharts erreichen Sie durch den Wechsel in ein kleineres Zeitfenster eine detailliertere Darstellung des Kursverlaufs. Diesem Vorgehen entspricht die Verkleinerung der Boxgröße im Point-and-Figure-Diagramm.
Die folgende Tabelle kann als Anhalt dienen, welche Boxgrößen abhängig von den Preisspannen eines Finanzprodukts gewählt werden können:
Kursspanne | Box-Größe |
---|---|
Unter 0.25 | (1/16) 0.0625 |
0.25 → 1.00 | (⅛) 0.125 |
1.00 → 5.00 | 0.25 |
5.00 → 20.00 | 0.50 |
20.00 → 100 | 1.0 |
100 → 200 | 2.0 |
200 → 500 | 4.0 |
500 → 1000 | 5.0 |
1000 → 2000 | 20.0 |
2000 → 5000 | 50.0 |
5000 → 10000 | 100.0 |
10000 → 20000 | 200.0 |
20000 und darüber | 500.0 |
Es ist auch möglich, Point-and-Figure-Diagramme mit logarithmischem Maßstab zu zeichnen, bei denen die Kästchengröße einen Prozentwert darstellen. Das bedeutet, dass jedes Kästchen einen Prozentsatz des Preises auf dieser Ebene zeigt, z. B. 1 %. Der Wert jedes Kästchens oberhalb ist um 1 % größer und unterhalb um 1 % kleiner.
Für die Vorbereitung eines Traders kann die logarithmische Skalierung interessant sein: in der Regel interessiert hier die relative Bewegung, also ein Gewinn von x% oder ein maximaler Verlust von y%. Gängige Chartsoftware bietet diese Darstellungsform an.
Variable Boxgrößen: Point-and-Figure-Charts, die mit Hilfe von Software (z.B. bei tradingview.com) erzeugt werden, können auch Boxgrößen basierend auf dem Average True Range – Indikator (ATR) nutzen. Das hat zur Folge, dass die Boxgröße je nach Volatilität schwankt.
Die Umkehrgröße (Reversal) des Point & Figure Charts
Die Grafiksäule ändert ihre Richtung von ‘X’ nach ‘O’ oder umgekehrt, wenn sich der Kurs um eine bestimmte Anzahl von Kästchen umkehrt.
Die ursprüngliche Methode, die heute allerdings seltener verwendet wird, ist der “1-Box-Reversal-Chart”, bei dem eine Kursänderung um den Wert von (mindestens) einem Kästchen die Richtung der Säule ändert. Im einführenden Beispiel bin ich nach dieser Methode vorgegangen.
1-Box-Umkehrdiagramme sind recht empfindlich und zeigen bei geringen Seitwärtsbewegungen des Kurses längere Zick-Zack-Muster. Als Standard hat sich eine komprimiertere Version eingebürgert, das so genannte “3-Box-Umkehrdiagramm”.
Kursänderungen, die 1 oder 2 Boxen betreffen, werden dabei ignoriert; erst ein Wechsel über 3 Boxen führt zu einer neuen Säule. Dann werden allerdings die beiden entstehenden „Lücken“ mit ‘X’ oder ‘O’ wieder aufgefüllt.
Der Vorteil hierbei ist, dass das “Kursrauschen” um den Wendepunkt herum ausgeblendet wird. Möchte ein Trader einen detaillierteren Einblick in das Kursverhalten am Umkehrpunkt erhalten, wird allerdings nicht die Umkehrgröße, sondern die Boxgröße zu verringert. Dies entspricht dem Wechsel auf eine niedrigere Zeiteinheit beim Balken- oder Candlestick-Chart.
Terminologie der Point-and-Figure-Charts
Wie erkennen Sie, auf welchen Chart Sie gerade blicken? Das verrät Ihnen der Name des Diagramms.
Ein Diagramm mit der Boxgröße 10 und der Umkehrgröße 1 wird als 10×1 Point-and-Figure Diagramm bezeichnet, eines mit Boxgröße 100 und 3-Box Umkehr als 100×3 Diagramm. Den Ansatz einer Boxgröße mit logarithmischer Maßstab erkennt man aus der Angabe 10%x3 – Diagramm.
Darstellung der Zeitverläufe
Ein Point-and-Figure-Chart stellt auf seiner x-Achse zeitliche Daten sehr knapp mit Hilfe von Jahreszahlen dar. Um dem Betrachter eine zeitliche Orientierung zu ermöglichen, können im Chart aber weitere Hinweise auf die Monate angegeben werden. Dies passiert, indem in der betreffenden Säule anstelle des ‘X’ bzw. ‘O’ die Monatszahl (0-9, A=Okt., B=Nov., C=Dez.) eingetragen wird, wenn erstmals im betreffenden Monat eine neue Box gezeichnet wird.
Die Datenquelle: End-Of-Day, High-Low oder Volatilität?
Welche Daten sollen bei der Konstruktion eines Point-and-Figure-Charts berücksichtigt werden? Zur Auswahl stehen End-Of-Day (EOD) Daten oder die Betrachtung der Höchst- und Tiefstwerte des Handelstages ausgehend von Tagesdaten. (Als langfristiger Investor betrachten Sie vielleicht lediglich Wochendaten, dann gelten diese Begriffe natürlich entsprechend).
Diagramme auf Basis der High-Low-Daten sind dabei detaillierter und zeigen anstehende Trendwechsel früher. Auf eine detaillierte Beschreibung der Nutzung zur Erstellung will ich hier verzichten, da Sie P&F-Diagramme mit Sicherheit nicht mit Hand erstellen, sondern dafür entsprechende Software-Dienste nutzen werden.
Eine weitere Methode, diese Diagramme zu konstruieren, ist die Festlegung der Boxgrößen auf Basis der Volatilität. Hier hängt die Empfindlichkeit des Point-and-Figure-Charts von der Volatilität der zugrunde liegenden Daten ab. Je volatiler der Kurs ist, desto größer wird die Boxgröße sein.
Zur Berechnung dieser Boxgrößen verwendet man üblicherweise die Formeln für die Standardabweichung oder den Indikator Average True Range ‘ATR’ (der ATR ermittelt den Durchschnitt der Handelsspannen über einen bestimmten Zeitraum). Hierfür müssen Sie die Anzahl der Perioden festlegen, über die die Volatilität berechnet werden soll. TradingView verwendet hier als Standard 20 Perioden.
Diese Methoden der Konstruktion erfordern z.T. umfangreichere Berechnungen und wurden erst mit dem Einzug des Computers in den Börsenhandel möglich.
Technische Analyse mit Point-and-Figure-Charts
Wie Sie bei der Konstruktion erkennen konnten folgen Point-and-Figure-Charts strengen Regeln. Das machen wir uns bei der technischen Analyse dieser Charts zunutze. Es existieren eine Reihe von Indikatoren und Oszillatoren, die Anwendung finden.
Am besten dokumentiert sind diese Analysetechniken für 3-Box-Umkehrdiagramme. Sie können aber auf jedes Diagramm mit einer Umkehrgröße >1 angewendet werden.
1-Box-Umkehrdiagramme folgen z.T. anderen Regeln, auf die ich aus Platzgründen hier nicht eingehen werde. Am Ende des Artikels gebe ich Ihnen eine Reihe von Literaturhinweisen, in denen Sie auch diese Regeln finden können.
Unterstützung und Widerstand
Unterstützungs- und Widerstands-Linien stellen, genau wie bei Balkencharts, waagrechte Linien im Diagramm dar. Aufgrund der grafischen Besonderheit und komprimierten Darstellung sind sie bei Point-and-Figure-Charts deutlicher zu erkennen.
Trends und Trendlinien
Subjektive und objektive Trendlinien
Bei herkömmlichen Charttypen (Balken, Kerze) werden Trendlinien in der Form gezeichnet, dass sie durch mindestens zwei Punkten unterstützt werden. Eine Trendlinie im aufsteigenden Trend verbindet markante Tiefpunkte im Chart, eine Abwärtstrendlinie markante Hochs.
Diese Trennlinien werden subjektive Trendlinien genannt. Dabei ist zu beobachten: zeichnen zwei unterschiedliche Trader im selben Chart “ihre” Trendlinien ein, entstehen oft unterschiedliche Chartbilder.
Point-and-Figure-Charts dagegen nutzen objektive Trendlinien, die klaren Regeln folgen. Subjektive Trendlinien finden eigentlich nur in 1-Box- Diagrammen Verwendung. In Diagrammen, in denen die Umkehrgröße >1 ist, sollten sie nur genutzt werden, wenn sie in signifikanter Weise eine große Anzahl Tiefs oder Hochs verbinden.
Konstruktion einer objektiven 45°-Trendlinie
Diese Trendlinien gehen immer von einem markanten Tiefpunkt oder Hochpunkt aus und werden im 45°-Winkel nach rechts gezeichnet. Der Winkel von 45° bedeutet, dass eine Kursumkehr mindesten den Wert einer Boxgröße aufweist.
Eine objektive Trendlinie benötigt keine weiteren Berührungspunkte, obwohl sie in ihrer Signifikanz gewinnt, wenn sie durch weitere Berührungen bestätigt wird.
Eine Aufwärtstrendlinie beginnt in einem markanten Tiefpunkt (‘O’) einer Abwärtssäule und wird im 45°-Winkel nach rechts oben gezeichnet. Alle Säulen oberhalb dieser Trendlinie befinden sich im Aufwärtstrend. Ein Trendbruch kommt zustande, wenn eine fallende Säule diese Linie durchbricht.
Analog hierzu wird eine Abwärtstrendlinie gezeichnet, indem ausgehend vom Hoch einer ‘X’-Säule eine 45°-Linie nach rechts unten gezogen wird. Alle Säulen unterhalb dieser Linie befinden sich im Down-Trend, eine aufsteigende ‘X’-Säule, die die Linie schneidet, führt zum Trendbruch.
Im folgenden Diagramm des DAX habe ich Trendlinien eingezeichnet. Die Parameter des Diagramms: Boxgröße 100, Reversal 3, Datenquelle High/Low. Die Pfeile zeigen auf Säulen, die die jeweilige Trendlinie brechen. Beachten Sie dabei, dass eine Box, die von der Trendlinie durchlaufen wird, keinen Bruch, sondern eine Bestätigung der Linie darstellt.
Betrachten wir die Linie (a). Sie wird von der Säule unter dem ersten Pfeil gebrochen. Wir können einen Trendwechsel erwarten und zeichnen eine Aufwärtslinie ein. Dazu suchen wir einen markanten Tiefpunkt in der Vergangenheit und ziehen von hier ausgehend eine 45°-Linie nach oben (b).
Linie (b) wird von der ‘O’-Säule am zweiten Pfeil gebrochen. Wir suchen ein markantes Hoch links dieser Säule und zeichnen die Abwärts-Trendlinie (c).
Analog gehen wir bei jedem Bruch einer Linie vor.
Interne 45-Grad-Trendlinien
Wenn wir die Linien (b), (e) und (f) anschauen, fällt auf, dass sich der Kurs rasch und deutlich von der Linie entfernt. Diese Linien verlieren dadurch zwar nicht ihre Gültigkeit, doch schaut es aus, als würde eine parallel dazu verlaufende Linie frühere Signale auf einen möglichen Trendwechsel generieren.
Es ist daher möglich, sogenannte “interne Trendlinien” zu zeichnen, die parallel zur 45°-Trendlinie verlaufen.
Einschub: Mögliche Probleme der Chartdarstellung in der Chartsoftware
Die Chartsoftware wie z.B. TradingView erlaubt eine variable Änderung der x- und y-Achse mit der Maus. Dadurch können Sie diese Verzerrung unbeabsichtigt sehr schnell herbeiführen.
Wie Sie bei TradingView festlegen können, dass die Boxen exakt gezeichnet werden, stelle ich in folgendem Bild dar:
Kauf- und Verkaufs-Signale im P&F-Diagramm
Wenden wir uns den Handelssignalen zu. Wie bei den Trendlinien bietet ein Point-and-Figure-Diagramm auch hier klare und eindeutig erkennbare Regeln.
Außerdem sind alle Signale symmetrisch, das heißt, ein Kaufsignal existiert in gespiegelter Form auch als Verkaufssignal.
Das Grundmuster des einfachen Kaufsignals zeigt eine aufsteigende ‘X’-Säule, die über die vorgehende ‘X’-Säule ansteigt (es muss sich dabei um zwei benachbarte X-Säulen handeln). Die steigende Säule bildet ein „Doppel-Top“, der weitere Anstieg wird als „Doppel-Top-Breakout” bezeichnet.
Ein einfaches Verkaufssignal entsteht, sobald ein ‘O’ unter das tiefste ‘O’ der vorigen Säule gezeichnet werden kann. Man spricht jetzt von einem “Double-Bottom Breakdown”.
Eine Verstärkung erfahren diese Signale, wenn eine weitere Säule auftritt, die das Niveau der ersten erreicht. Der Widerstand bzw. die Unterstützung wird ein weiteres Mal getestet, im dritten „Anlauf“ gelingt dann der Durchbruch. Diesem „Triple-Top-Breakout“ – oder in Verkaufsrichtung „Triple-Bottom-Breakdown“ genannten Signal folgt häufig eine deutliche Kursbewegung in Ausbruchsrichtung.
Eine Kombination dieser beiden Signale stellt ein sehr starkes Signal dar. Einem Triple-Top Kaufsignal folg ein weiteres Double-Top Signal. Dieses Muster wird als “Bullisches Katapult” bezeichnet. Das zweite Kaufsignal, das durch das höhere Double-Top erzeugt wird, kann genutzt werden, um eine bestehende Longposition aufzustocken.
Voraussetzung ist allerdings, dass die letzte Gegenbewegung (also die letzte ‘O’-Säule) das Tief der vorherigen ‘O’- Säule nicht unterschreitet.
Das “Bearische Katapult” stellt das entsprechende Muster in Verkaufsrichtung dar.
Bei allen Signalen wird ein Stopp-Loss unmittelbar unter bzw. über der Säule platziert, die das Signal generiert hat. Abb.10 fasst diese Muster zusammen.
Ein entstandenes Signal muss jedoch nicht gehandelt werden. Es gibt starke und schwache Signale. Schwache Signale werden nicht gehandelt.
Als schwaches Signal kann ein Signal aufgefasst werden, das der Trendrichtung zuwiderläuft. Vor allem Signale, die innerhalb einer dominanten linken Säule entstehen (also z.B. ein Kaufsignal, das sich auf halber Höhe einer langen unmittelbar vorausgehenden ‘O’-Säule bildet), werden nicht gehandelt, wenn sie nicht durch eine Trendlinie unterstützt werden.
Die Abbildung zeigt das Diagramm der Aktie der Rockwell Automation Inc. Wir sehen im Dezember/ Januar mehrere Kaufsignale. Das Triple Top zum Jahresende 2022 wird durch das Double Top im Januar bestätigt.
In der Aufwärtsbewegung entsteht im März ein Double Bottom mit Breakdown. Dabei handelt es sich um ein schwaches Signal, obwohl der nachfolgende Verlauf diesem Signal recht gibt (aber hinterher ist man ja immer schlauer).
Der Bruch der Aufwärts-Trendlinie hat zu diesem Zeitpunkt jedoch nicht stattgefunden, so dass es nicht korrekt wäre, dieses Signal zu diesem Zeitpunkt zu handeln. Dasselbe gilt für das Triple Top Ende März.
Im Mai entsteht ein bullisches Katapult, welches ein starkes Signal darstellt.
Weitere Muster in Point-und-Figure-Diagrammen
Wie in den bekannten Balken-/Kerzencharts lassen sich auch in Point-and-Figure-Charts Dreiecksformationen finden. Wir unterscheiden symmetrische Dreiecke und steigende bzw. fallende Dreiecke.
Dreiecksmuster ziehen zwangsläufig einen Ausbruch aus der Formation nach sich. Ein steigendes Dreieck bricht bevorzugt nach oben aus, da der Widerstand mehrfach angetestet wurde. Die Bullen versuchen, die Oberhand am Markt zu gewinnen, die Bären setzen dem immer weniger Widerstand entgegen.
Die zu erwartende Ausbruchsrichtung beim fallenden Dreieck ist dem entsprechend nach unten.
Ein symmetrisches Dreieck zeigt zunächst keine bevorzugte Ausbruchsrichtung. Käufer und Verkäufer bewegen sich konform. Hier kann der Trader jedoch von einem Ausbruch in Richtung des aktuellen Trends ausgehen.
Hoher Stab und Tiefer Stab
Die beiden Muster können auf eine Trendumkehr hindeuten. Ein Stab ist eine sehr lange Säule, auf die eine ebenfalls deutliche Gegenbewegung folgt. Der Hohe Stab ist eine aufsteigende ‘X’- Säule, der Tiefe Stab das dazu komplementäre Muster in Gegenrichtung.
Dabei müssen folgende Bedingungen erfüllt sein:
- der Stab selbst muss mindestens 3 Boxen über den vorherigen Parallelstab hinausragen. Je länger er ist, desto besser.
- Die Gegenbewegung muss 50% oder mehr der Stablänge ausmachen (s. Abb.: ein Stab von 8 Boxen Länge wird von einer Gegenbewegung von mindestens 4 Boxen begleitet).
Wie kann diese Bewegung deuten? Lassen Sie es mich am Beispiel des Hohen Stabs erklären:
Der steile Anstieg deutet auf eine sehr starke Nachfrage durch die Käufer hin. Diese Nachfrage lässt nach und die Verkäufer übernehmen das Ruder. Es entsteht Verkaufsdruck und kommt zu verstärkten Gewinnmitnahmen. Stäbe können ein erster Hinweis auf einen bevorstehenden Trendwechsel sein, treten jedoch auch häufig bei Fehlausbrüchen auf. Es ist daher Vorsicht geboten.
Kursziele ermitteln
Mit Point-and-Figure-Charts können Einstiegs- und Stopp-Niveaus festgelegt werden. Es lassen sich aber auch Targets (Trading- bzw. Kursziele) bestimmen. Man unterscheidet dabei zwischen der vertikalen und der horizontalen Kurszielbestimmung.
Vertikale Kurszielbestimmung
Ausgangspunkt ist hier ein relevanter Wendepunkt des Kursverlaufs, also ein Kurs-Top oder ein Bottom.
Vertikales Kursziel einer Aufwärtsbewegung
Vertikale Kursziele werden in zwei Schritten bestimmt: der Einrichtung und der Aktivierung. Bei der Einrichtung wird das Kursziel-Niveau errechnet. Dieses Ziel kann jedoch erst als aktiv betrachtet werden, wenn es durch eine weitere Säule in Zielrichtung bestätigt und somit aktiviert wird.
Schauen wir uns das anhand eines fiktiven Point-and-Figure-Beispiels an. Die Boxgröße im Diagramm ist 5, die Umkehrgröße 3. Beide Werte sind wichtig!
Einrichtung: Ausgangspunkt ist ein markanter Tiefpunkt im Chart (bei 440 in Spalte 3). Die sich jetzt bildende ‘X’ -Säule (Säule 1 in Spalte 4) muss abgeschlossen sein, es muss sich also bereits eine neue ‘O’-Säule (Spalte 5) ausbilden.
Es wird nun die Länge dieser Säule bestimmt (nennen wir sie ‘Zählsäule’): 4
Als zweiten Wert brauchen wir das Tief der Säule, von der wir ausgegangen sind, also das letzte ‘O’. Das liegt bei 440. Wir nennen es ‘Bottom’.
Zusammen mit der Boxgröße und der Umkehrgröße berechnet sich das Tradingziel jetzt zu:
Target = (Länge_der_Zählsäule X Boxgröße X Umkehrgröße) + Bottom
Mit den Werten: Target = (4 x 5 x 3) + 440 = 500
Aktivierung: Das Tradingziel bei 500 kann aber erst dann als aktiv betrachtet werden, wenn ein Bruch über dem höchsten X in der Zählspalte (4) stattgefunden hat, sich rechts davon als eine neue ‘X’-Säule bildet, die diese Säule überragt (und folglich ein Double-Top-Breakout bildet). Dies ist mit der Ausbildung der Säule 2 in Spalte 6 der Fall.
Ein Kursziel kann also berechnet und festgelegt werden. Da es aber nicht aktiv ist, sollte man sich nicht darauf verlassen. Erst die Bildung eines Double-Top-Kaufsignals bestätigt das Target.
Vertikales Kursziel einer Abwärtsbewegung
Die Bestimmung läuft analog zur Bestimmung der Aufwärtssäule. Betrachten wir das rechte Beispiel in Abb.15.
Wir bestimmen ein signifikantes Top im Chart. Es liegt hier in der Spalte 3 bei 530.
Die folgende Säule (‘Zählsäule’) muss wiederum abgeschlossen sein. Ihre Länge beträgt jetzt 6.
Die Formel zur Berechnung des Targets lautet jetzt:
Target = Top — (Länge_der_Zählsäule X Boxgröße X Umkehrgröße)
oder mit Werten: 530 — (6 x 5 x 3) = 440
Das Kursziel bei 440 ist jetzt aber noch nicht aktiviert. Aktiv wird es erst in der übernächsten ‘O’-Säule mit mit dem Ausbruch unter die Zählsäule, hier in Form des Triple-Bottom-Breakdown.
Wann sollte die Aktivierung erfolgen?
Idealerweise sollte die Aktivierung einer Aufwärtszählung (Abwärtszählung) mit der nächsten Spalte von ‘X’ (oder ‘O’) nach der Einführungsspalte erfolgen. Wenn dies nicht der Fall ist, muss die Aktivierung innerhalb desselben Musters erfolgen. Je länger die Aktivierung dauert, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass das Ziel gültig ist.
Horizontale Kurszielbestimmung
Die horizontale Kurszielbestimmung gründet sich auf Stauzonen (“congestion areas”) im Chart. Stauzonen sind Bereiche, in denen die Säulen über eine längere Distanz eine seitliche Fläche abdecken. Eine solche Zone wird durch zwei signifikante Säulen begrenzt, die den Eintritt in die Stauzone und den Ausbruch daraus markieren.
Das Gesamte Muster ähnelt bei einer Aufwärtsbewegung also einem ‘U’ oder ‘V’ (manchmal einem W) . Den Eintritt bildet eine tiefe ‘O’-Säule, den Austritt eine lange ‘X’-Säule.
Bei der Abwärtsbewegung erscheint es umgedreht mit einer ‘X’-Säule als Start und einer ‘O’-Säule als Abschluss.
Zur Berechnung des Kursziels ermittelt man die Breite der Stauzone (inklusive der beiden begrenzenden Säulen) und den tiefsten (“Low”) bzw. höchsten Punkt (“High”) innerhalb der Zone.
Die Formeln lauten dann:
Aufwärtsbewegung: Target = (Breite x Boxgröße x Umkehrgröße) + Low
und
Abwärtsbewegung: Target = High — (Breite x Boxgröße x Umkehrgröße)
Betrachten wir zur Verdeutlichung das Diagramm in Abb.16. Es sind 4 Stauzonen eingezeichnet. Die Boxgröße beträgt wieder 5, die Umkehrgröße 3.
Die einzelnen Kursziele errechnen sich zu:
① ( 6 x 5 x 3) + 455 = 545
② (10 x 5 x 3) + 455 = 605
③ (12 x 5 x 3) + 455 = 635
④ (6 x 5 x 3) + 500 = 590
Horizontale Kursziele müssen nicht aktiviert werden. Es gibt noch einige weitere Fakten bezüglich Targets in Point-and-Figure-Charts:
- Kursziele haben kein “Ablaufdatum”. Da diese Chartform keine Zeitachse aufweist, kann auch nicht festgelegt werden, wann ein Kursziel erreicht wird.
- Daraus folgt, dass das nähere Target Vorrang vor einem weiter entfernten hat.
So ist es beim Blick auf Abb.16 offensichtlich klar: wird das Target bei 590 nicht erreicht, ist es müßig, über das Ziel bei 605 oder gar 635 nachzudenken.
- Ein Kursziel einer Aufwärtsbewegung verliert seine Gültigkeit, wenn der Preis unter das Tief der auslösenden Säule fällt.
In Abb.15 links würde das ermittelte Ziel also ungültig, wenn der Preis unter 440 fällt, in Abb.16 verlieren die Ziele ① – ③ ihre Gültigkeit, falls der Kurs unter 455 notieren sollte. Entsprechendes gilt für Kursziele in Abwärtsbewegungen.
Um das Kapitel zu vervollständigen, eine schematische Darstellung von Tradingzielen bei Abwärtsbewegungen:
Die Bestimmung der Kursziele in Point-and-Figure-Charts basiert auf objektiven, nachvollziehbaren Regeln und Berechnungen. Diese Regeln lassen sich auch in Algorithmen umformen, die in mechanischen Handelssystemen Verwendung finden.
Moving Average: der Gleitende Durchschnitt
Der Gleitende Durchschnitt (Moving Average) eines zeitbasierten Diagramms wie z.B. einem Balkenchart ist der Durchschnitt der n letzten Preise. Hierzu addiert man beispielsweise die Schlusskurse der 10 letzten Handelstage (n=10) und teilt das Ergebnis durch n.
Ein Point-and-Figure-Chart hat keinen Zeitbezug. Entlang der x-Achse werden nicht Tage oder Wochen gezeichnet, sondern alternierende Säulen mit aufsteigenden oder fallenden Kursen. Dementsprechend stellt ein Moving Average des Diagramms auch nicht den Durchschnitt von Kursdaten dar, sondern den von Säulengrößen.
Die erste Frage, die sich dabei stellt, ist: auf welchen Wert bezieht sich der Durchschnitt. Bei zeitbasierten Charts ist das häufig der Eröffnungs- oder Schlusskurs eines Tages oder einer Woche.
Bei Point-and-Figure-Diagrammen ist es der Mittelpunkt einer Säule, berechnet aus
► (Low + High) / 2
Ein Moving Average der Länge 1 verbindet also die Mittelpunkte der Säulen miteinander:
Entsprechend zeigt der MA10 den Durchschnitt der mittleren Werte der letzten 10 Säulen:
WICHTIG:
Sie müssen verstehen, dass ein Moving Average bei Point-and-Figure-Charts nicht aus den Rohdaten der Kurse, sondern aus den daraus konstruierten ‘X’- und ‘O’-Säulen ermittelt wird. Es ist also immer notwendig, zuerst das Diagramm zu erstellen, aus dem dann der MA ermittelt wird.
Viele Chart-Programme im Internet berechnen einen MA immer aus den Kursdaten (so z.B. auch TradingView!). Diese gleitenden Durchschnitte sind für P&F-Diagramme unbrauchbar. Zur Kontrolle können Sie sich einer einfachen Technik bedienen: lassen Sie der Software einen MA der Länge 1 zeichnen. Verbindet er tatsächlich die Mittelpunkte der Säulen?
Technische Analyse mit Moving Averages
Moving Averages können ergänzend zu den 45°-Trendlinien eines P&F-Charts zur Bestimmung des Trends benutzt werden. Allerdings ist Vorsicht geboten bei der Annahme von Trendwechseln!
Im Balkenchart gehen wir davon aus: Liegt ein Kurs über dem gleitenden Durchschnitt, ist der Trend aufwärts gerichtet. Liegt er darunter, ist der Trend abwärts gerichtet. Der Kurs, der den gleitenden Durchschnitt kreuzt, deutet an, wo sich der Trend ändert.
Bei diesen zeitbasierten Diagrammen kennen wir die Methode, dass ein Durchbruch über oder unter den MA als Kauf- oder Verkaufssignal gewertet werden kann. Das ist bei Point-and-Figure-Diagrammen aufgrund der Art, wie gleitende Durchschnitte berechnet werden, nicht möglich.
Sie sehen, dass – abhängig von der Länge des MAs – viele Säulen die Durchschnittslinie kreuzen, ohne dass tatsächlich ein Trendwechsel vorliegt. Es kann sich fast jedes Mal, wenn es einen Säulenwechsel gibt, das letzte X in jeder Säule über und und das letzte O unter dem gleitenden Durchschnitt bewegen (vgl. Abb.18).
Dennoch gibt es Methoden, gleitende Durchschnitte für die Erkennung von Kauf- und Verkaufsignalen zu nutzen. Eine davon will ich vorstellen:
Eine Point-and-Figure Säule kreuzt einen Gleitenden Durchschnitt, wenn der Mittelpunkt einer Box über oder unter der Durchschnittslinie liegt.
Befinden sich jetzt zwei Boxen von nebeneinander liegenden ‘X’-Säulen über der Durchschnittslinie, bilden sie ein Double-Top. Analoges gilt für fallende ‘O’-Säulen.
Die Methode besteht darin, die Durchdringung des gleitenden Durchschnitts durch ein X oder O zunächst als Warnsignal zu verwenden, um dann beim nächsten Point-and-Figure-Signal zu kaufen oder zu verkaufen.
Dabei müssen Sie bedenken, dass die nächste Spalte den MA natürlich in Gegenrichtung kreuzen und das erste Signal dadurch eigentlich wieder aufhebt. Es ist also stets eine weitere Kreuzung mit Ausbildung eines Kauf- bzw. Verkaufssignals notwendig.
Abb. 21 zeigt ein Anwendungsbeispiel: die 3. Säule links schneidet den MA nach oben (sehr knapp!) und generiert ein Warnsignal. Zwar schneidet die folgende ‘O’-Säule wieder nach unten, aber die nächste ‘X’ generiert ein Doppel-Top und führt mit der Breakout über das Top zum Kaufsignal bei A.
Analoges passiert bei B, wo sich ein Triple-Bottom ausbildet, der zum Verkaufssignal führt.
Bei den beiden Signalen bei Y und Z handelt es sich um nicht korrekte Signale. Sie liegen auch über (Z) bzw. unter (Y) der MA-Linie und werden ignoriert.
On Price Volume: Volumen auf Point-and-Figure
Point-and-Figure-Charts können auch das Handelsvolumen darstellen. Dabei lässt sich das Volumen wie gewohnt in Säulenform unter dem Chart auftragen. In diesem Fall wird das gesamte Handelsvolumen der jeweiligen ‘X’- oder ‘O’-Säule addiert dargestellt.
Allerdings ist es nicht möglich, das Volumen eines einzelnen Handelstages oder einer konkreten Periode zu bestimmen. Eine interessante Information, die diese Charts bieten, ist jedoch das Volumen auf einem bestimmten Preisniveau.
Dieses “On-Price-Volume” wird waagerecht dargestellt, es wird das Volumen aller ‘X’- und aller ‘O’-Boxen auf diesem Niveau aufgezeigt:
On Price Volume als aussagekräftiger Indikator
Je höher das Volumen auf einem Niveau ist, desto größer ist die Aktivität und das Interesse der Händler an diesem Preis. Hohe Aktivität bedeutet, dass ein guter Handel in beide Richtungen stattfindet; die Käufer gehen davon aus, dass der Preis steigen wird, die Verkäufer erwarten, dass er fallen wird.
Wenn der Kurs von dem Niveau mit hohem Volumen fällt, entsteht ein großer Angebotsüberhang, der es zu einem Widerstandsniveau für eine Aufwärtsbewegung macht. Käufer, die auf diesem Niveau gekauft haben, wollen glattstellen, wenn der Kurs wieder auf dieses Niveau zurückkommt. Verkäufer, die von ihren Leerverkäufen profitiert haben, suchen hier eine weitere Gelegenheit zum Shorten.
Wenn der Kurs nach einem Rückgang erneut steigt und diese Widerstandsniveau durchbricht, bedeutet dies: die neue Nachfrage ist stark genug ist, um den Angebotsüberhang zu überwinden. Ein relativ bullisches Zeichen.
Steigt der Kurs hingegen von einem hohen Volumen an, bildet dies eine Unterstützung für jede Abwärtsbewegung. Verkäufer, die auf der falschen Seite des Marktes erwischt wurden, möchten ihre Short-Positionen gern auf diesem Niveau glattstellen und Käufer suchen hier nach einer weiteren Kaufgelegenheit.
Sackt der Kurs dann unter dieses Niveau ab, zeigt dies, dass die Nachfrage auf diesem Niveau gedeckt wurde.
Renko und Kagi – 2 Chart-Alternativen ohne Zeitachse
Abschließend noch der kurze Blick auf zwei weitere Vertreter dieser “Zeit-losen” Charttechnik. Neben Point-and-Figure-Charts gibt es weitere “Exoten”, die ohne lineare Zeitachse auskommen. Zwei davon, den Renko– und den Kagi-Chart will ich kurz vorstellen.
Beide Charttypen wurden im Japan des 19. Jahrhunderts entwickelt und haben bezüglich ihrer Konstruktion und ihrem Informationsgehalt große Ähnlichkeiten mit den Point-and-Figure-Charts. Im Aussehen unterscheiden sie sich, doch wenn man sich einmal an die Optik gewöhnt hat, lässt sich das Wissen über Point-and-Figure ziemlich nahtlos übertragen.
Die folgenden drei Charts zeigen den selben Kursverlauf (Advanced Microsystems Device, AMD Inc.) als Point-and-Figure-, Renko- und Kagi-Chart (Hinweis: die Markierungen an der x-Achse stellen Zeitpunkte der Prämien- und Dividendenzahlungen dar und sind für unsere Betrachtung irrelevant).
Renko-Charts schnell erklärt
“Renko” kommt vom japanischen Wort “renga”, deutsch “Ziegelstein”. Der Blick auf einen Renko-Chart sagt alles:
Renko-Charts werden werden aus Ziegeln, engl. “bricks”, konstruiert. Die Brick-Größe ist dabei der ausschlaggebende Faktor, ähnlich der Boxgröße im Point-and-Figure-Diagramm. Die Ziegel werden nicht übereinander gestapelt wie die Boxen im Point-and-Figure, sondern diagonal im 45° Winkel angesetzt. Es dürfen nie zwei Ziegel unmittelbar nebeneinander liegen, so dass die Umkehrgröße automatisch festgelegt ist.
Ein neuer Ziegel wird dann gezeichnet, wenn der Kurs soweit fortgeschritten ist, dass er den Ziegel komplett ausfüllt. Ein Beispiel mit Zahlen:
Die Brickgröße ist 5, der Kurs liegt genau bei 50. Der Ziegel zwischen 45 und 50 ist gefüllt. Der Ziegel von 50 bis 55 wird dann gefüllt, wenn der Kurs auf 55.0 oder darüber steigt. Klettert der Kurs z.B. auf 54, wird noch kein neuer Ziegel gezeichnet. Es wird also immer der Ziegel gefüllt, den der Kurs “durchlaufen” hat.
Umgekehrt würde der Ziegel von 40-45 erst gezeichnet, wenn der Kurs unter 40 abfällt.
Zum Zeichnen des Bricks sind die Werte maßgeblich, die bei Ablauf des gewählten Zeitintervalls (z.B. End-Of-Day bei Intervall 1Tag) vorliegen. Intraday-Kurse, die eventuell die Zeichnung eines Bricks ermöglicht hätten, werden dann als “Docht” des aktuellen Ziegels angetragen (vgl. Abb. 23b).
Im Diagramm 23b sind mehrere Widerstands- und Unterstützungslinien gezeichnet. Der Durchbruch durch diese Linien wird als Kauf- bzw. Verkaufssignal gewertet. Außerdem habe ich drei klassische Kaufsignale (‘B’) und ein Verkaufssignal (‘S’) markiert. Diese Signale kann man mit Korrekturen nach Markttechnik vergleichen.
Auch der Durchbruch der Linie (A) und der anschließende Abprall des Kurses ist ein klassisches Kaufsignal (Aufgabe: Vergleichen Sie die Signale mit den Mustern im Point-and-Figure-Chart).
Kagi-Charts kurz betrachtet
Die zweite Chartform in diesem Zusammenhang sind die Kagi-Charts. Wie Renko-Charts wurden sie in Japan Mitte des 19. Jahrhunderts entwickelt, um die Preisentwicklung an den Reismärkten zu visualisieren.
Sie verwenden eine Reihe von vertikalen Linien, um das allgemeine Niveau von Angebot und Nachfrage zu veranschaulichen. Steigt die Nachfrage und der Preis überschreitet das vorherige Hoch, wird eine dicke (in farbigen Darstellungen grüne) Linie gezeichnet
Wenn der Preis bei sinkender Nachfrage unter das vorherige Tief fällt, ändert sich die Linie auf rot (bzw. wird als dünne Linie gezeichnet). Die Darstellung ist wiederum zeitunabhängig, nur der Preis entscheidet über die Umkehr, die vertikalen Linien werden parallel gezeichnet.
Abb. 23c zeigt den Kurs der AMD-Aktie – mit exakt denselben Grundeinstellungen wie in den beiden vorherigen Abbildungen – in der Darstellung des Kagi-Charts:
Wie bei Point-and-Figure die Boxgröße oder bei Renko-Charts die Brick-Größe wird auch hier ein Mindest-Wert festgelegt, der zu einer Umkehr führt. Dieser Wert bestimmt die Sensibilität des Diagramms. In Abb. 23c wurde dieser Wert auf 5 gesetzt (entsprechend 5$ Preisänderung). Die folgende Abbildung zeigt den Kurs ab 2020 mit einer Schwelle von 2$:
In einem Kagi-Diagramm werden die Hochs als Schultern (“shoulders”) und die Tiefs als Taillen (“waists”) bezeichnet. Steigende Schultern signalisieren einen steigenden Markt und eine Kaufgelegenheit, fallende Taillen weisen auf einen Abwärtstrend hin. Ein Einstiegs-Signal wird ausgelöst, wenn die vertikale Linie von rot zu grün wechselt, und wird erst wieder umgekehrt, wenn die grüne Linie wieder rot wird.
Wie bei jedem anderen Diagramm müssen diese Signale auf der Grundlage anderer fundamentaler oder technischer Kriterien gefiltert werden. Wie sie bei Betrachtung der Abbildungen erahnen können, kann es ein teures Spiel werden, bei jedem Grün-Rot-Wechsel zu kaufen oder zu verkaufen.
Verabschieden will ich mich mit den Point-and-Figure-Chart des WTI-CrudeOil Futures (CL); dargestellt ist der Tageskurs (High/Low Darstellung) über 40 Jahre hinweg, Boxgröße ist 3$ , Umkehrgröße 3 Boxen. Der Absturz mit anschließender Erholung in der rechten Hälfte des Charts verdeutlicht die Preissituation des Futures zu Beginn der „Corona-Pandemie“ im März 2020.
Vertiefung und Weiterlesen
Point-and-Figure-Charts bieten sich als hilfreiches Medium für den Trader an. Die komprimierte Darstellung ohne Zeitbezug kann als zusätzlicher Faktor die technische Analyse unterstützen. Vor allem bei mittel- und langfristigen Handelsansätzen ist es möglich, im Zusammenspiel mit anderen Charttechniken Signale vorzufiltern oder zu bestätigen.
Ich wollte mit diesem Artikel einen Einstieg in Technik und Philosophie dieser Charts ermöglichen. Natürlich – wie bei anderen Charttechniken auch – kann das nur ein erster Kontakt sein. Wenn Sie neugierig geworden sind, hier eine Reihe von Publikationen, die das Thema vertiefen (und mir als Quelle dienen konnten):
- Jeremy du Plessis: The Definitive Guide to Point and Figure. 2. edition, Harriman House Publishing, Petersfield, 2012 — Ein Standardwerk zu Point-and-Figure-Charts
- Jeremy du Plessis: 21st Century Point and Figure. 1. edition, Harriman House Ltd, 2015 — Die Vertiefung des “Definitive Guide”s
- Prashant Shah: Trading the Markets the Point & Figure Way. Notion Press, Chennai, India, 2018
- Zieg, Kermit C.: Point & Figure Commodity & Stock Trading Techniques. Traders Press, Greenville, 1997
- Scholl Reinhard: Point & Figure. 2. Auflage, FinanzBuch Verlag, München, 2021
Die Charts wurden, sofern nicht anders angegeben, mit TradingView erstellt. Weitere Möglichkeiten, kostenfreie Point-and-Figure-Charts online zu erstellen bieten Stockcharts.com und Investing.com.
FAQ zu Point & Figure Charts
Eignen sich Point-and-Figure-Charts auch für Daytrader?
Nein. Dieser Charttyp fasst minimale Kursschwankungen in einer Box zusammen. Dadurch filtert er das für den Kurzfrist-Trader interessante Kursrauschen heraus. Seine Vorteile spielt er im mittel- bis langfristigen Zeitsegment aus.
Haben Point-and-Figure-Trendlinien immer 45° Steigung oder Gefälle? Warum?
Die 45°-Trendlinie heißt „objektive Trendlinie“. Der 45° Winkel erklärt sich aus der Konstruktionsvorschrift für Point-and-Figure-Diagramme: es können nie zwei Boxen (‘X’ und ‘O’) auf gleicher Höhe auftreten. Stellt man sich den Chart auf kariertem Papier vor, liegt die erste Box der entstehenden neuen Säule diagonal über oder unter der letzten Box der aktuellen, bei korrekten quadratischen Kästchen also im 45° Winkel daneben.
Es ist auch erlaubt, „subjektive Trendlinien“ zu zeichnen, die keinen 45° Winkel aufweisen. Diese müssen allerdings signifikant sein, also von einer größeren Zahl von Boxen bestätigt werden.
Deuten lange oder häufig wechselnde Säulen auf volatile, aktive Märkte hin?
Nein. Eine lange Säule zeigt nur eine große Preisspanne an. In welchen zeitlichen Rahmen sich diese Säule gebildet hat, geht aus dem Chart nicht direkt hervor. Alternierende Säulen zeigen einen Wechsel von Käufer- und Verkäufermarkt innerhalb einer bestimmten Preisrange. Aber auch hier geht nicht aus dem Chart hervor, wie aktiv dieser Wechsel stattfindet.
Welchen großen Vorteil bieten Point-and-Figure-Charts für mein Trading?
Für den mittel- bis langfristig orientierten Trader haben Point-and-Figure-Charts zwei wesentliche Vorteile:
Ihre komprimierte Darstellung erlaubt den Blick auf das “Große Ganze”. Sie können den Kursverlauf eines Trading-Assets über einen langen Zeitraum verfolgen und Widerstände, Unterstützungsregionen sowie Preisextremas rasch erfassen.
Sie können Chartmuster und daraus entstehende Handelssignale schneller erkennen. Das ermöglicht Ihnen, Chartverläufe vorzufiltern oder Signale, die in anderen Charts entstanden sind, auf ihre Relevanz hin zu überprüfen.
Point-and-Figure-Charts können eine sinnvolle Ergänzung für Ihre technische Analyse darstellen. Als alleinstehendes Planungstool würde ich sie nicht empfehlen.